Zwei Monate nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes präsentiert der Bundesrat einen Vorschlag, wie es mit der Schweizer Klimapolitik weitergehen soll. Und siehe da, man glaubt es kaum – der neue Vorschlag ist der alte, den Simonetta Sommaruga bereits im Oktober vorigen Jahres vorgestellt hat. 

Der Bundesrat lanciert, wie bereits im vergangenen Jahr angekündigt, einen direkten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative, gleichsam eine Gletscherinitiative light. Der Vorschlag nimmt das Hauptanliegen der Gletscherinitiative, Netto Null bis 2050, grundsätzlich auf, ergänzt die Initiative aber um einige Formulierungen, die harmloser klingen, als sie es wirklich sind. So sollen etwa fossile Energieträger nicht, wie die Gletscherinitiative fordert, verboten werden, die Emissionen sollen bloss «so weit vermindert werden, als dies technisch möglich, wirtschaftlich tragbar und mit der Sicherheit des Landes und dem Schutz der Bevölkerung vereinbar ist». 

Das klingt, als hätte ein übereifriger Bafu-Jurist seinem Regulierungstrieb freien Lauf gelassen, denn: Wer käme im Ernst auf die absurde Idee, dass Anwendungen emissionsfreier sein müssen, als dies technisch überhaupt möglich ist? Oder: Kann man sich bei einigermassen intaktem Verstand vorstellen, dass das Parlament ein Gesetz beschliessen könnte, das wirtschaftlich nicht tragbar ist?  Und: Was die «spezielle Situation der Berg- und Randregionen» anbelangt – mit welchen konkreten Massnahmen diese Regionen geschützt werden sollen, gehört eh nicht in die Verfassung, sondern wird in einem Klimagesetz geregelt. 

Hintertüre für Ausnahmeregelungen und Schlupflöcher

Aber dennoch, so skurril und krampfhaft gesucht diese Einwände gegen die Gletscherinitiative auf den ersten Blick auch scheinen, sie sind alles andere als harmlos: Sie sind gleichsam die Hintertüre für zahlreiche Ausnahme-, Sonderregelungen und Schlupflöcher, die ein künftiges Klimagesetz relativieren und entschärfen können. 

Dazu kommt: Wer erwartet hat, dass sich der Bundesrat angesichts der unübersehbaren absoluten Dringlichkeit für ein Vorgehen entscheidet, das die Klimapolitik beschleunigt und nicht noch zusätzlich bremst und verzögert, wurde ebenfalls bös enttäuscht. Der schnellste Weg, endlich zu einer effizienten Klimapolitik zu kommen, wäre, die Ziele der Gletscherinitiative in ein wirkungsvolles Klimagesetz zu packen und der Initiative als indirekten Gegenentwurf gegenüber zu stellen. Das würde uns den langwierigen parlamentarischen Umweg über eine Verfassungsänderung ersparen, der völlig unnötig ist und nur Zeit verplempert, die wir gar nicht mehr haben.

Wir brauchen keine Verfassungsänderung, sondern ein wirkungsvolles Klimagesetz

Zu recht plädieren die Klimapolitiker der SP und der Grünen, aber auch einzelne der FDP und der Mitte für diesen Weg. Und Simonetta Sommaruga?  Dem Vernehmen nach, so meint die NZZ vom vergangenen Donnerstag, ist auch sie «offen dafür, die Gletscherinitiative mit einer konkreten Gesetzesvorlage zu kontern». Sie selber aber habe keine Möglichkeit gehabt, eine Vorlage dazu zu präsentieren.» Warum nicht? Schliesslich ist sie die zuständige Umweltministerin. Hat sie, bei allen einleuchtenden und zwingenden Argumenten, mittlerweile so wenig Gewicht im Bundesrat? Oder hat sich der Bundesrat schon so weit von den Realitäten der Klimakatastrophe abgekoppelt, dass er nicht mehr realisiert, dass wir keine Zeit mehr haben, nur über Klimaziele zu plaudern, sondern endlich Massnahmen ergreifen müssen, um noch Schlimmeres zu verhindern? (CR)