«Wir können nun mit Überzeugung sagen, wir haben die 1.5 Grad lebendig gehalten», befand Alok Sharma, der britische Chef der Weltklimakonferenz, und alle anwesenden Delegationsvertreter fanden sich selber dabei ganz wunderbar. (Quelle: Internet)

Die Erwartungen vor dem Glasgower Weltklimagipfel COP 26 waren ebenso riesig wie die Enttäuschung nach dem Ende am vergangenen Samstag. Dabei war das Scheitern leicht voraussehbar: Es lag nicht an übergrossen Zielen, sondern an der übergrossen Heuchelei und einer Klimadiplomatie, die vor lauter Taktiererei längst die wirklichen Ziele aus den Augen verloren hat.

Am Ende jeder Klimakonferenz gibt es eine Abschlusserklärung. Meist geht es bei diesem Schlussspurt weniger darum, festzuhalten, was die Delegierten beschlossen resp. nicht beschlossen haben. Sondern darum, dass überhaupt eine gemeinsame Abschlusserklärung zustande kommt. Was man dann als zumindest kleinen Erfolg verkaufen kann, als Schritt in die richtige Richtung, wie das gängige «wording» dieses Vorgangs heisst.

Wenn die Abschlusserklärung nach nächtelangem fiebrigen Feilschen um einzelne Wörter, Begriffe, Halb- und Viertelsätze, um Selbstverständlichkeiten und Floskeln, endlich verabschiedet worden ist, präsentieren sich zweihundert ehrenwerte Männer und Frauen vor dem Konferenzsaal und beklatschen sich gegenseitig zu ihrem Erfolg, als hätten sie grad eben die Welt gerettet. Oder mindestens bei irgendeinem anstehenden Thema einen wirklich nennenswerten Durchbruch erzielt. Hunderte von Medienleuten halten ihre Mikrofone und Kameras in die Luft und verkünden der Weltöffentlichkeit, die 26. Weltklimakonferenz sei mit zumindest einigen hoffnungsfrohen Resultaten zu Ende gegangen.

Eine Niederlage fast auf der ganzen Linie

Und die längst desillusionierte Weltöffentlichkeit wundert sich, mit welcher Chuzpe sie wieder einmal für dumm verkauft und angelogen wird. Denn selbst wenn einige Delegierte wie die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze die Abschlusserklärung als «historischen Beschluss» bejubelte und meinte, es sei in Glasgow «etwas wirklich Weltbewegendes gelungen» –  aus etwas weniger berauschter Perspektive lassen die Resultate der Konferenz im Vergleich zu den vollmundigen Versprechen und Ankündigungen eigentlich nur einen rationalen Schluss zu: Der Weltklimagipfel von Glasgow ist fast auf der ganzen Linie gescheitert – einmal mehr haben es die Klimapolitikerinnen und -politiker versäumt, ein – wie sie selber in ihren Ankündigungsreden sagten – für den Klimawandel «ganz entscheidendes Jahr» zu nutzen und die dringendst notwendigen Massnahmen auf den Weg zu bringen.   

Um es ohne beschönigende Rhetorik zu sagen: Glasgow war eine fast unerträgliche Show an Heuchelei und Irreführung. So etwa, wenn die Delegierten (und mit ihnen die meisten Medien) im Brustton der Überzegung verkündeten, es sei ein fast schon revolutionärer Durchbruch, dass erstmals in den COP-Klimadokumenten der Ausstieg aus der Kohle und den «fossilen Energien» explizit erwähnt werde. Aber bitte sehr: Mittlerweile weiss ein jedes Kind, dass es ohne Kohleausstieg keine Klimaneutralität geben kann, egal, ob das nun explizit in den Klimadokumenten steht oder nicht.

Typisch aber für diese Art von Klimaverhandlungen ist, dass der Einstieg in den Ausstieg auch sogleich wieder relativiert und halbwegs zurückgenommen wurde, indem die Delegierten nicht mehr das «Ende» der Kohleverstromung postulierten, sondern bloss noch das «Bemühen um eine Verminderung» anvisieren wollen. Auch die Subventionierung fossiler Energien, von Öl und Gas, soll nur dann gebremst werden, wenn diese nicht «effizient» ist. Was das heisst, bleibt den einzelnen Staaten überlassen. Klar aber ist nach den gängigen volkswirtschaftlichen Regeln, dass ein Staat kaum etwas subventioniert, das er zugleich zum Verschwinden bringen will, egal, ob deren Produktion «effizient» ist oder nicht

Und die Schweizer Medien? Die NZZ, die seit Jahren immer wieder ausführlich über die Kohlen-Ausstiegsszenarien der EU, von China, Indien und anderswo berichtet, titelt: «Klimagipfel läutet Kohleausstieg ein», im Tages-Anzeiger liest man «Abschlusserklärung macht Schluss mit Kohle», später tröstet er seine Leserinnen und Leser mit der Hoffnung, «erneuerbare Energien wie Wind und Sonne und klimaschonende Produkte werden früher oder später das Rennen machen». Den Tatsachen der Abschlusserklärung entsprechen beide «Interpretationen» nicht.

Versprechen tun einem nicht weh, solange man sich nicht daran halten muss

Ähnlich trickreiche rhetorische Taschenspielertricks findet man auch bei anderen Themen. So etwa bei der Übereinkunft von mehr als 100 Ländern, die Abholzung der Wälder ab 2030 zu beenden und im Gegenzug die Aufforstung voranzutreiben. Eine schlichte Shownummer für Leute mit schlechtem Gedächtnis: Ein fast gleich lautendes Abkommen, die „New York Declaration on Forests“ wurde bereits vor sieben Jahren auf einem UN-Sondergipfel zum Klimaschutz beschlossen; es sah eine Halbierung der weltweiten Waldverluste bis zum Jahr 2020 vor, bis 2030 sollte der globale Waldverlust komplett gestoppt werden. Die Fakten: Seit 2014 gingen trotz Abkommen jährlich rund 100’000 Quadratkilometer Waldfläche verloren.

Oder bei der Reduktion von Methangas-Emissionen. Sie machen rund 16 Prozent der globalen Treibhausgase aus und tragen zu rund einem Fünftel zur globalen Erderwärmung bei. Laut dem in Glasgow verabschiedeten Übereinkommen sollen sie bis 2030 um mindestens 30 Prozent im Vergleich zu 2020 gesenkt werden. Bloss: Die globalen Treibhausgas-Emissionen werden dadurch nicht zusätzlich reduziert; sie sind in den CO2-Emissionen als CO2-Äquivalente längst eingerechnet. Überdies kann ein grosser Teil der Methangasemissionen gar nicht durch Massnahmen reduziert werden, weil das Methan, das in den Permafrostböden eingelagert ist, freigesetzt wird, wenn diese Böden durch die Klimaerwärmung auftauen

Darf’s auch ein bisschen weniger sein?

Wie wenig ernst die westlichen Industriestaaten den globalen Klimaschutz nehmen, zeigt sich auch bei der finanziellen Unterstützung der Entwicklungs- und Schwellenländer, ohne die es weder eine Halbierung der CO2-Emissionen bis 2030 noch Klimaneutralität bis 2050 geben wird. In den «Green Climate Fund», der bereits 2010 eingerichtet worden ist und zunehmend bis 2020 mit jährlich 100 Milliarden Dollar hätte alimentiert werden sollen, zahlen die wohlhabenden Industrieländer bis heute bloss rund 80 Milliarden Dollar pro Jahr. Aber: Anstatt mehr Gas zu geben, verlängerten die Industrieländer die Frist bis 2023 und erklärten völlig vage und unverbindliche, dass man anvisierten Betrag vielleicht irgendwann noch aufstocken könne..

Auch vor der Finanzierung eines weiteren wichtigen Fonds «Loss And Damages» für bereits eingetretene und kommende Schäden etwa durch Dürren, Überschwemmungen oder Wirbelstürme wollen sich die Industriestaaten nicht in die Pflicht nehmen lassen; es soll vorerst einmal ein «Workshop» eingerichtet werden, der bis zum nächsten Weltklimagipfel abklären soll, ob ein solcher Fonds überhaupt nötig sei; offenbar liest man in diesen Kreisen weder die fast wöchentlichen Katastrophenmeldungen auf den Frontseiten der Medien noch die ausführlichen Berichte und Studien der Versicherungsbranche. Hier sind es nicht die bösen Chinesen und Russen, sondern vor allem die EU, Grossbritannien und die USA, aber auch die Schweiz, die sich aus ihrer historischen Verantwortung schleichen wollen. So eigennützig und letztlich destruktiv das Verhalten von China und Indien, der beiden mächtigen Fürsprecher der ärmsten Ländern in Afrika und Südostasien, auch ist, so agieren sie doch bloss mit den gleichen Mitteln und Finten, mit denen sie bisher von ihren westlichen Kollegen über den Tisch gezogen wurden.

Solidarität darf keine Einbahnstrasse sein

Das müssen die wohlhabenden Länder des globalen Nordens, auch die Schweiz, noch besser lernen: Dass Gerechtigkeit mehr sein muss als eine leere Phrase, und dass Solidarität keine Einbahnstrasse ist, die man von anderen einfordern kann, ohne selbst etwas zu geben. Asad Rehman, der Sprecher der britischen Umwelt-Dachorganisation «COP 26 Coalition», hatte recht, als er den EU-Missionschef Frans Timmermans der Heuchelei bezichtigte, als dieser vor dem Plenum Fotos seiner Enkel herumzeigte, um an das Verantwortungsbewusstein der Delegierten zu appellieren: «Es ist unmoralisch, wenn die Reichen hier sitzen und über die Zukunft ihrer Kinder und Enkel reden, während die Kinder des Südens jetzt schon furchtbar leiden.» Solange die wohlhabenden Gesellschaften des Nordens diese Lektion nicht gelernt haben, werden auch die weiteren Weltklimagipfel in einem Fiasko enden. Da haben die Jungen der Klimastreikbewegung noch einiges an Aufklärung zu tun. (CR)