In der Weltwoche vom 21. März demonstriert Roger Köppel, wie man gleichsam über Nacht zu einem Klimaexperten wird, der es locker mit der Expertise, dem Fachwissen von Tausenden von Physikern, Chemikern, Biologen, Geologen, Ozeanografen, Meteorologen und Archäologen aufnimmt.

Auf knapp einer Zeitschriftenseite will Köppel mit den sechs „wichtigsten unbestrittenen Fakten beweisen, dass all das purer Unsinn ist, was die 830 Autoren des Weltklimarats 2013/14 in ihrem mehrtausendseitigen IPCC-Report AR5 zusammengetragen haben – allein der 1. Teil des Berichts über die Physikalisch-wissenschaftlichen Grundlagen umfasst 2’216 Seiten. Assistiert wird er dabei vom deutschen Journalisten Ulli Kulke, der zu den führenden Autoren des deutschen Klimaleugner-Think Tanks Eike gehört. 

Als erstes „unbestrittenes Faktum“ hat Köppel zwar kein Faktum entdeckt, aber immerhin einen scheinbar eklatanten Widerspruch in den Aussagen zweier prominenter «Mainstream»-Klimaforscher. Während Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung behaupte, der Mensch sei zu 100 Prozent schuld an der Klimaerwärmung seit 150 Jahren, sei sein Kollege Mojib Latif der Meinung, der Mensch sei bloss für über die Hälfte der Erwärmung verantwortlich. Ha, erwischt! Dummerweise nein, denn bei dem entlarvten Widerspruch handelt es sich bloss um zwei unterschiedliche, in allen Naturwissenschaften gebräuchliche Formulierungen, die zwei Facetten desselben Faktum bechreiben. Kurz erklärt: Der eine macht eine Aussage über den wahrscheinlichsten Wert, während der andere den Anteil angibt, der praktisch sicher ist. Etwa so, wie wenn wir für morgen 5 – 15 mm Regen voraussagen; die beste Schätzung – also die Schätzung mit der grössten Wahrscheinlichkeit – ist 10 mm, aber es ist ebenso korrekt zu sagen dass es mit grosser Wahrscheinlichkeit mehr als 5 mm regnen wird. 

Ebenfalls als nicht ganz sattelfest erweist sich Klimaexperte Köppel beim zweiten „unbestreitbaren Faktum“. Im Gegensatz zur Behauptung der «Mainstream»-Forscher sei Wasserdampf ein weitaus „bedeutenderes“ Treibhausgas als etwa CO2. Als Kronzeugen gibt Köppel seinen ständigen Kronzeugen Richard Lindzen an. Ganz unnötig, denn der angeführte Tatbestand ist Basiswissen, gleichsam eine Binsenwahrheit, die von keinem Klimawissenschafter auf der Welt bestritten wird. Das unselige Problem ist bloss, dass Wasserdampf resp. die Luftfeuchtigkeit eine sogenannte abhängige Variable ist, wie sich – wiederum etwas populärwissenschaftlich erklärt – mit jedem beliebigen Kochtopf beweisen lässt: Je höher die Temperatur, desto mehr Wasser verdunstet und erwärmt die Luft. Die einzige Möglichkeit, die Verdunstung zu regulieren, besteht in der Regulierung der Kochplatte, die hier bildlich für das Treibhausgas CO2 steht. Ob es dem Duo Lindzen/Köppel passt oder nicht, die Erderwärmung lässt sich nur beeinflussen über die Regulierung der Treibhausgase CO2, Methan, Distickstoffoxid (Lachgas), Fluorkohlenwasserstoffe und weiterer Spurengase. Und unter diesen ist CO2 das wichtigste.

Am dritten „unbestreitbare Faktum“ scheint Köppel selber zu zweifeln. „Der Einfluss der Sonne“, schreibt er, „wird möglicherweise grandios unterschätzt.“ Ein möglicherweises Faktum? Für die Entdeckung dieses neuen wissenschaftlichen Begriffs verdient Köppel einen kleinen Wissenschaftspreis. Aber was ist faktisch grandios? 20 Prozent? 50 Prozent? 

Für sein viertes „unbestreitbares Faktum“ verdient Köppel dagegen eher einen Kleinkunstpreis als Verwechslungskünstler . Unversehens zieht er den Lügen-Journalisten Claas Relotius, der eine Reportage über das im Meer versinkende Atoll Kiribati frei erfunden hat, aus dem Ärmel, ernennt den Pappkameraden flugs zum Klimawissenschafter, um ihn dann, stellvertretend für die ganze Zunft, mit «unbestreitbaren Fakten» abzuwatschen.

Vor dem Finale produziert Köppel mit seinem fünften „unbestreitbaren Faktum“ das, was gebürtige Berliner Schnauzen als „von hinten durch den Bauch ins Auge“ nennen. Für die zunehmende Häufigkeit und Intensität von Wirbelstürmen gibt es, so Köppel, «schlechterdings keine Daten für einen belastbaren Trend.“ Zwar ist „schlechterdings“ ein wenig übertrieben, aber was kümmern einen wie Köppel solche Details, wenn es gilt, die Welt vor der «kollektiven Untergangsbegeisterung» zu retten. Wer sich aber auf die Suche nach dem „unbestreitbaren Faktum“ macht, wird nicht so recht fündig. Am Schluss muss auch Köppel kleinlaut zugeben: „Es gibt zwar theoretisch Ansätze, dies auf die Erwärmung (…) zurückzuführen, bewiesen ist da aber noch nichts.“  Das könnte so oder ähnlich auch in einer Zusammenfassung des letzten IPCC-Berichts stehen, in dem laut Köppel nur lauter Unsinn steht.

Ach, ja, das sechste „unbestreitbare Faktum“: Der „El Niño“. Leider gibt es auch da, wie Köppel einräumt, kein unbestreitbares Faktum gegen die «Mainstream»-Forscher anzuführen. Nichts ist bewiesen, da sind sich der Weltklimarat und Köppel noch einmal fast ganz einig. Also belässt er es mit sechs nichtssagenden Zeilen. Offenbar nahte der Redaktionsschluss. Oder das nächste Referat des Klimaexperten Roger Köppel an irgend einem Stammtisch gegen die Lügenbarone des Weltklimarats, des Departements Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich, des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung in Bern und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).

Übrigens: Das wichtigste unbestreitbare Faktum bleibt von Köppel ganz und gar unerwähnt : Dass die von ihm geschmähte «Mainstream»-Klimawissenschaft über eine riesige Menge an gesicherten Fakten verfügt und über ebenso viele stichhaltige Argumente, weshalb es wohl zu 100 Prozent (höchster Wert) klüger ist, ihren zu 97 Prozent (Anteil) sicheren Klimamodellen zu vertrauen. (CR)