Am vergangenen Dienstag veröffentlichte die Internationale Energieagentur (IEA) ihren jährlichen World Energy Outlook, eine sehr detaillierte und komplizierte Bestandsaufnahme der weltweiten Energieversorgung und deren mittel- und langfristige Entwicklungstendenzen. Der Ausblick zeigt wie die kürzlich veröffentlichte Studie amerikanischer Wissenschafter ein verheerendes Bild.
40 Jahre nach den ersten eindringlichen Warnungen der Klimawissenschafter, 15 Jahre, nachdem das Kyoto-Protokoll in Kraft gesetzt wurde, 5 Jahre nach dem Pariser Klimaabkommen, mit dem fast alle Länder dieserWelt sich zu einem aktiven Klimaschutz verpflichtet haben, fasst der IEA-Chef Fatah Birol das Ergebnis des diesjährigen World Energy Outlook in einem Satz zusammen: «Im Moment läuft alles in die falsche Richtung!»
Das heisst: Wenn wir so weitermachen wie bisher, ja sogar dann, wenn alle Unterzeichnerstaaten des Pariser Klimaabkommens ihre angekündigten Klimaschutzmassnahmen umsetzen, werden die Treibhausgasemissionen bis mindestens 2040 weiter deutlich ansteigen.
Die IEA, eine Institution des OECD, die gewiss nicht im Verdacht linker Wirtschaftsfeindlichkeit steht, hat für ihre Prognosen drei mögliche Szenarien analysiert,
- das Current Policies Scenario, das aufzeigt, wie sich die globalen Energiesysteme entwickeln werden, wenn die Regierungen mit ihrer derzeitigen Klimapolitik fortfahren.
- das Stated Policies Szenario, wenn die Regierungen alle Massnahmen umsetzen, die sie im Nachgang des Pariser Abkommens angekündigt haben, und
- das Sustainable Development Szenario, das aufzeigt, welche Massnahmen im Energiebereich ergriffen werden müssten, wenn das Ziel des Pariser Abkommen und weitere Energieziele, die sich die Regierungen gesetzt haben, erreicht werden sollen.
Die CO2-Emissionen steigen auch in Zukunft weiter
Das Fazit ist ernüchternd: Beim Szenario «Weiter-wie-bisher» wird die Energienachfrage bis 2040 um jährlich 1,3% pro Jahr weiter steigen. Weil keine zusätzlichen Klimamassnahmen umgesetzt werden, steigen auch die (energiebedingten) Treibhausgasemissionen massiv weiter an.
Weitab vom Ziel landet aber auch das «mittlere» Szenario, das alle versprochenen Massnahmen mit berücksichtigt. Es unterscheidet sich nur unwesentlich vom «Weiter-wie-bisher»-Szenario, weil China und Indien, zwei der drei grössten CO2-Emittenten, ihre wachsenden Emissionen erst ab Mitte der 2030er-Jahre allmählich stabilisieren und reduzieren wollen, und die USA unter Trump jegliche Reduktionsziele ablehnen. (Die drei Staaten sind für rund 70 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich.) Insgesamt rechnet die IEA auch beim «mittleren» Szenario mit einem jährlichen Wachstum des globalen Energiebedarf von 1 Prozent. Nur rund die Hälfte dieses Wachstums kann nach Schätzung der IEA durch erneuerbare Energie abgedeckt werden., den restlichen Neubedarf erbringt vor allem Erdgas. Die Erdölproduktion wird bis 2030 weiter wachsen und dann wie die Kohlverstromung stagnieren, aber nicht sinken.
Erdöl, Gas und Kohle werden weiterhin 80 Prozent der Nachfrage decken
In ihrer (allerdings umstrittenen) Vorausschau geht die IEA also davon aus, dass die fossilen Energieträger in zwanzig Jahren immer noch rund 80 Prozent der globalen Nachfrage decken werden, auch wenn der Anteil erneuerbarer Energien schneller wächst als alle anderen Energieformen. Besonders Öl und Gas, so die IEA-Experten, werden dank der billigen Weltmarktpreise auch in den nächsten Jahrzehnten weiter eine tragende Rolle spielen. „Wir haben ein Überangebot an billigem Schieferöl und Gas auf dem Markt», erklärt IEA-Chef Birol gemäss dem deutschen Handelsblatt.
Aber auch die Kohle ist, selbst wenn einige Länder den Kohleausstieg beschlossen habe, noch längst nicht am Ende. Wie die Global Coal Exit List ausweist, sind aktuell weltweit Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 579 Gigawatt (GW) in Planung. Damit würde sich die Leistung der Kohlekraftwerken von aktuell rund 2000 Gigawatt um 29 Prozent erhöhen – falls denn alle Projekte realisiert würden. Das ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was der Weltklimarat IPCC für notwendig hält – nämlich die Stilllegung von 78 Prozent der weltweiten Kohlekraftwerkskapazitäten bis 2030.
In einzelnen Ländern sind die geplanten Zuwachsraten für Kohle immens: China will seine Kapazität um 227 GW (Gigawatt) erweitern, Indien um 92 GW und die Türkei immerhin noch um 34 GW. Es folgen Vietnam, Indonesien, Bangladesch, Japan, Südafrika, die Philippinen und Ägypten. «Die meisten dieser Länder, zitiert das Handelsblatt den IEA-Chef Birol, «können es sich gar nicht leisten ihre Kohlekraftwerke frühzeitig vom Netz zu nehmen“. Fazit: Trotz aller angekündigten Klimaschutzmassnahmen werden die (energiebedingten) Treibhausgasemissionen bis 2040 um mehr als 10 Prozent höher liegen als heute. Eine Katastrophe, wenn man bedenkt, dass alle in den kommenden Jahren neu hinzukommenden fossilen Produktionsanlagen eine Laufzeit von mehreren Jahrzehnten haben.
Die «Rezepte» der IEA
Was aber bietet die IEA als «Rezepte» an, um die Emissionen in den kommenden 20 und 30 Jahren gemäss dem Pariser Klimaabkommen zu senken? In erster Linie sollen die erneuerbaren Energien, insbesondere die Photovoltaik, in geringerem Mass aber auch Wind- und Wasserstrom, massiv gefördert werden. Damit könnte der Anteil an erneuerbaren Energien (inklusive Wasserkraft) bis 2040 von heute 25 auf dereinst 45 Prozent gesteigert werden; das würde laut IEA im besten Fall die CO2-Emissionen um 32 Prozent mindern. Effizienzsteigerungen, etwa die Sanierung von Gebäuden, würden die Emissionen um 37 Prozent vermindern. Notwendig, um das Pariser Klimaziel (85 – 90 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2050) wären laut IEA auch neue Technologien, etwa das Herausfiltern von Kohlendioxid aus der Luft und der Verpressung in unterirdischen Kavernen. Kritiker wenden allerdings ein, dass diese und ähnliche Technologien noch lange Zeit nicht im grossen Nassstab anwendbar seien.
Auch der Ladenhüter Atomkraft wird gemäss IEA weiter eine Rolle spielen: Mit dem Bau von weltweit rund 450 AKW würde die Kapazität von heute 418 Gigawatt auf 436 GW im Jahr 2030 und 482 GW bis 2050 steigen; zum Reduktionsziel würden die AKW ungefähr drei Prozent betragen.
Mehrere Annahmen des IEA sind umstritten
Mehrere Annahmen der IEA sind allerdings umstritten. Immer noch würden die extrem gesunkenen Kosten für erneuerbare Energien, eine wichtige Voraussetzung für deren Erfolg, nicht ausreichend berücksichtigt, kritisiert Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin laut dem Klima-Online-Portal Klimareporter. So sei der weltweite Ausbau von Photovoltaik innerhalb von zwei bis drei Jahren so stark gewesen, wie ihn die IEA eigentlich für 20 Jahre erwartet habe. Neben den ständig sinkenden Kosten für erneuerbare Energien schätze die IEA auch die derzeitigen Diskussionen um den Umwelt-und Gesundheitsschutz falsch ein. Letzteres werde vor allem in China und auch Indien zu einem deutlichen Rückgang der Kohleverstromung führen.
Andere Kritiker sind der Ansicht, dass die IEA die Kosten und Möglichkeiten der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) völlig überschätze. Die Hoffnung, dass diese Technologie weit vor 2040 kommerziell einsetzbar werde, sei illusorisch.
So oder so: Dass die energiebedingten Emissionen weiter ansteigen, ist zwar sehr wahrscheinlich, aber nicht unausweichlich. Zwei Dinge, zitiert Klimareporter die Klimaökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), wären nötig, wenn die CO2-Emissionen wirklich sinken sollen: «Erstens muss der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller gehen, inklusive Elektromobilität. (…) Und zweitens muss das Energiesparen sehr viel schneller vorankommen». Dazu müssten zuallererst jegliche fossilen Subventionen abgeschafft und die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen entsprechend angepasst werden. IEA-Chef Birol ist da weniger optimistisch; gegenüber dem Handelsblatt sagte er: «Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich grosse Hoffnungen habe, dass wir die Klimaziele noch erreichen werden.“ (CR)