Seit dem Klimagipfel in Kopenhagen, an dem die junge Delegierte Christina Ora der Solomon-Inseln dieses T-Shirt trug, sind inzwischen weitere zehn Jahre vergangen.

Eigentlich wissen wir es, von einigen Details abgesehen, schon seit vielen Jahren: Es ist, je nach Sichtweise, eine Minute vor oder bereits fünf Minuten nach zwölf. Der «Emissions Gap Report» der UNO-Organsatin UNEP und der neuste Report der Weltwetterorganisation WMO machen eines völlig klar: Wir haben viel zu lange nur geredet und Symbolpolitik betrieben; jetzt gibt es nur noch einen einzigen Ausweg: Es muss sehr schnell gehandelt werden. Und sehr radikal.

Man ahnt es schon: In den kommenden Tagen und Wochen, vor und während dem Weltklimagipfel in Madrid, wird wieder einmal sehr viel geschrieben, geredet, gewarnt, gemahnt und beteuert.. Die Wissenschaftsredaktoren der grossen Zeitungen werden pflichtschuldigst ihre Kommentare abliefern, Politiker werden ernst und besorgt in die Fernsehkameras gucken und ihren unbedingten Willen kundtun, das Klima zu retten. Die Umweltministerin wird wieder einmal verkünden, dass sie sich noch entschiedener für das Klima einsetzen wolle, und sie wird dafür plädieren, dass der Benzinpreis um 2,7 statt um 2,6 Rappen pro Liter -oder so ähnlich – erhöht wird. Die FDP wird, weil es sonst niemand tut, sich selber loben und behaupten, dass die Flugticketabgabe eigentlich schon immer in ihrer DNS eingeschrieben war und nur uneigentlich von wirtschaftlichen Gegenargumenten der Luftverkehrslobby überschattet wurde. Und die Weltwoche wird einmal mehr Greta Thunberg bezichtigen, mit ihrer Klima-Hysterie das ganze Schlamassel erst angerichtet zu haben.

Spätestens vor der Frühlingssession des Nationalrats, wenn das CO2-Gesetz behandelt wird, werden all die grossen Worte im Zettelkasten für Festreden verschwinden, die «Vernunft» wird einkehren, und die sogenannte Realpolitik wird dafür sorgen, dass alles weitergeht – wie bisher. Kurz: Man könnte Kabaretttexte schreiben, wenn die Lage nicht so ernst wäre.

Keine Trendwende in Sicht

Was aber wissen wir mit Sicherheit? Die klimaschädlichen Treibhausgase in der Atmosphäre sind in den letzten Jahren weiter gestiegen und steigen auch weiterhin; eine Trendwende ist nicht einmal andeutungsweise in Sicht. Das zeigen die neuesten Zahlen der WMO, die am vergangenen Montag in Genf veröffentlicht wurden. 

Die Konzentration von Kohlendioxid ist 2018 auf den neuen Rekordwert von 407,8 ppm (parts per million) gestiegen. Im Vorjahr waren es noch 405,5 ppm. Das heisst zugleich: Die Emissionen stiegen schneller als im Durchschnitt der letzten zehn Jahren. Soll die Erderhitzung bei höchstens zwei Grad gestoppt werden, liegt die Obergrenze irgendwo zwischen 430 bis 480 ppm.

Gestiegen ist auch die Konzentration von Methan, das für rund 17 Prozent des Treibhauseffekts verantwortlich ist; sie stieg 2018 auf 1.869 ppb (parts per billion). (Methan kommt in der Atmosphäre zwar sehr viel weniger vor als CO2, ist aber ein vielfach aggressiveres Klimagas.) Hier beträgt der Zuwachs gegenüber der vorindustriellen Zeit 159 Prozent. Und jedes weitere Jahr, so erklärte WMO-Generalsekretär Petteri Taalas, bringe einen weiteren Rekord. Insgesamt gebe es kein Anzeichen auf eine Verlangsamung des Langzeittrends bei der Konzentration von Treibhausgasen, geschweige denn einen Rückgang. Was das heisst? Eine vergleichbar hohe CO2-Konzentration, so Taalas, habe die Erde zuletzt vor drei bis fünf Millionen Jahren erlebt. «Damals waren die Temperaturen um zwei bis drei Grad höher als heute und der Meeresspiegel um zehn bis 20 Meter höher.»

Eine wachsende Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Demgegenüber konzentriert sich der Emissions Gap Report des UNO-Umweltprogramms mehr auf die gewaltige Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit der globalen Klimapolitik: Gegenüber dem, was notwendig wäre, um wenigstens das 2-Grad-Ziel zu erreichen, liegen die freiwilligen Zusagen, welche die Länder im Rahmen des Pariser Klimaabkommens bis zum Jahr 2030 gemacht haben, um 15 Milliarden Tonnen über dem Soll. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssten jährlich sogar 32 Milliarden Tonnen mehr eingespart werden als zugesagt sind. Wenn die Staaten nicht sehr schnell ihre nationalen Klimaziele massiv verschärfen und sich zu ambitionierteren Klimaplänen durchringen, schreibt Christian Speicher in der NZZ, dürfte sich die Erde laut Unep-Bericht bis zum Ende des Jahrhunderts um 2,9 bis 3,4 Grad erwärmen.

Was das für die kommenden zehn Jahren, für die Etappe 2020 bis 2030, bedeutet, ist gigantisch: Um das 2-Grad-Ziel zu erreichen, müssten die Emissionen jährlich um 2,7 Prozent sinken, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen, wären es jährlich sogar 7,6 Prozent. Der Vorschlag des Ständerates schlägt ein Reduktionsziel im Inland von 1 Prozent pro Jahr vor. Derzeit steigen die Emissionen aber im zehnjährigen Durchschnitt um 1,5 Prozent pro Jahr.

Dringende Appelle

Vor dem UNO-Sondergipfel in New York vom 23. September hatte UN-Generalsekretär Antonio Guterres die teilnehmenden Länder dringend dazu aufgerufen, ihre Klimaziele nachzubessern – mit bescheidenem Erfolg: Zwar haben 66 Länder, vor allem solche aus der Gruppe der kleinen Inselstaaten und der ärmsten Ländern, schärfere Klimaziele angekündigt, aber keines aus der Gruppe der grossen Industrieländer. Jetzt hat Inger Andersen, die Direktorin des Unep, in einem ähnlichen Appell von den Ländern gefordert, dass sie ihre Anstrengungen rasch verstärken. Man müsse nun nachholen, was man in den letzten Jahren auf die lange Bank geschoben habe. Um welche Dimensionen es geht, zeigt Speiser in der NZZ auf: «Hätte man bereits 2010 ernsthafte Massnahmen zum Klimaschutz beschlossen, müssten die Emissionen jetzt nicht um 7,6 Prozent pro Jahr reduziert werden, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, sondern nur um 3,3 Prozent. Und mit jeder weiteren Verzögerung verschärft sich das Problem.»

Andersens Appell richtet sich selbstverständlich vor allem an die Industrienationen, denn die G-20-Länder sind für 78 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Von diesen 20 Ländern aber haben bisher nur gerade fünf überhaupt einen konkreten Zeitplan vorgelegt, bis wann sie die Treibhausgasemissionen auf null senken wollen. Alle anderen Industrieländer warten ab, bis die anderen abwartenden Länder nicht mehr abwarten. Das Spiel heisst Klimadiplomatie.

Als einzigen positiven Aspekt weist der Unep-Report darauf hin, dass die Technologien durchaus vorhanden wären, um die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 32 Milliarden Tonnen zu reduzieren und so die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu schliessen. Notwendig wäre der rasche Ausbau erneuerbarer Energien, der Ausstieg aus der Kohle, die Elektrifizierung des Verkehrs sowie eine Dekarbonisierung der Industrie. Das allerdings, auch das macht der Report klar, erfordere grosse Eingriffe in bestehende Strukturen. Und genau das versuchen in der Schweiz die bürgerlichen Politiker im Chor mit den Wirtschaftsverbänden und der Autobranche zu verhindern, im globalen Massstab die mächtigen Industrieländer, aber auch China, Russland und die erdölproduzierenden Länder. eine verheissungsvolle Perspektive, denn im kommenden Jahr sitzen zwei der heftigsten Bremser an mächtigen Hebeln der globalen Klimapolitik: Die USA leiten im Juni 2020 den jährlichen G7-Gipfel, während Saudi-Arabien für das ganze kommende Jahr den Vorsitz der G20 übernimmt. (CR)