Seit Meinungsumfragen belegen, wie knapp die Abstimmung ausgehen könnte, wird wieder vermehrt über das CO2-Gesetz debattiert. Dabei kommt alles Mögliche und Unmögliche zur Sprache, aber kaum, was denn das Gesetz dem Klima wirklich bringt.

Die Parteien, die Wirtschafts- und Umweltverbände, vor allem aber auch die Medien, die fast ausnahmslos kritiklos für das CO2-Gesetz trommeln, betreiben einen beträchtlichen Aufwand, um ihre etwas schmalspurigen Argumente («vernünftig», «fair»,»kostengünstig» etc.) unter die Leute zu bringen. Kritische Gastkommentare werden fast nur dann abgedruckt, wenn sie so simpel sind, dass man sich nicht einmal die Mühe machen muss, sie ernsthaft zu widerlegen. So etwa, wenn Roland Bilang, Geschäftsführer von Avenergy Suisse, dem Verband der Erdölfirmen in der Schweiz, so tut, als sei die Ölbranche gleichsam die Speerspitze der Klimabewegung, und als Beispiel anfügt, im April habe ein Mitglied von Avenergy Suisse eine Wasserstofftankstelle eröffnet; es sei bereits die sechste innert weniger Monate. Oder wenn er wider allgemein bekanntes Wissen suggeriert, die Beimischung von Biotreibstoff zu Benzin und Diesel habe das gleich grosse Einspar-Potenzial wie die ganze Fotovoltaik.

Ansonsten machen die Leitartikler viel Lärm in Nebenfragen, um von den Kernfragen abzulenken. So wird immer noch fast täglich fleissig debattiert und gerechnet, ob die Benzinpreiserhöhung von einigen Rappen den «kleinen Leuten» zuzumuten sei oder nicht. Oder die Flugticketabgabe wird immer noch als grosser Fortschritt, als Durchbruch angepriesen, obwohl sich alle Klimaökonomen einig sind, dass ihre Lenkungswirkung gegen Null tendiert, und die Flugbranche längst klar gemacht hat, dass sie diese Abgabe nicht auf ihre Kunden überwälzen wird.

Die NZZ rettet wieder einmal den Kapitalismus

In der NZZ rettet Christoph Eisenring wieder einmal den Kapitalismus. Anhand einer über 200seitigen Studie der Denkfabrik Avenir Suisse, dem letzten ideologischen Bollwerk des gescheiterten Neoliberalismus, zeigt er, dass das mit dem Klima alles nur halb so schlimm ist und schon gar nicht ein Grund, nun «die Verbotskeule hervorzuholen». Zwar schaffe die Schweiz nicht einmal das Zwischenziel für 2020, den Ausstoss von Treibhausgasen um 20% gegenüber 1990 zu senken, aber das sei eigentlich ziemlich egal, wenn man nur richtig rechne. Denn gemessen an der gewachsenen Bevölkerung hätten sich die Emissionen um rund ein Drittel reduziert, gemessen an der Wirtschaftsleistung sogar halbiert. Die Schweiz stehe also ziemlich prima da. Das alles ist schön gerechnet, hilft aber nicht weiter, denn beim Klima zählen, Bevölkerungswachstum hin, Wirtschaftswachstum her, nur die nackten absoluten Zahlen. Und die sind, das vemag auch Avenir Suisse und Christoph Eisenring nicht hinwegzuargumentieren, für die Schweiz ziemlich miserabel.

Für Christoph Eisenring aber ist und bleibt klar: Alles cool! Nur bitte keine Hysterie der Klimajugend, kein Alarmismus der Wissenschaften, und erst recht kein System Chance, keine Forderung nach Abschaffung des Kapitalismus, der das Klimaproblem nach Meinung von Avenir Suisse und NZZ doch schon bisher fast bravourös gemeistert hat. «Unternehmen und Haushalte», so Eisenring, «können am besten abschätzen, wo es sich lohnt, Treibhausgase zu vermeiden.» Das ökonomisch ungebildete Klima macht ihnen offensichtlich derzeit einfach kein genügend attraktives Angebot …

Ist das Wetter schuld? Oder die Klimastreikbewegung?

Im Tages-Anzeiger philosophiert Stefan Häne derweil allen Ernstes, ob vielleicht das kalte Mai-Wetter schuld sei, wenn das CO2-Gesetz am 13. Juni abgelehnt werde. Ohne darauf hinzuweisen, dass die Studie, die das zu belegen scheint, mit fragwürdigen theoretischen Annahmen operiert, und nicht hinreichend analysiert, ob bei den Abstimmungen gewichtigere andere, nämlich inhaltliche Gründe viel ausschlaggebender waren als ein bisschen Regen. Bekanntlich sind auch nicht immer die Störche auf dem Kirchturm schuld, wenn in einem Dorf mehr Kinder zur Welt kommen …

Und schliesslich: In einem etwas wirren Interview mit dem grünen Nationalrat Bastien Girod versucht Stefan Häne schon jetzt herauszufinden, wer denn neben dem Wetter sonst noch schuld sein könnte, falls die Abstimmung zum Debakel wird. Sind es vielleicht jene Teile der Klimastreikbewegung, die das Gesetz ablehnen, weil es ihnen zu wenig weit geht? Oder aber jene Klimajugendlichen, die das Gesetz zwar nicht ablehnen, aber auf den Strassen einfach nicht so richtig für Begeisterung sorgen?  Oder vielleicht die FDP, die zwar den Lead in der Kampagne hat, der es aber offenbar nicht einmal gelingt, ihre eigene Basis zu überzeugen?

Oder sind es die «ausländischen Erdölimporteure», die sehr viel Geld in die Nein-Kampagne buttern? Oder jene bösen rechten Kreise, die es nach Meinung von Häne geschafft haben, «die Abstimmung zu einer Frage des Portemonnaies zu machen»? (Uns scheint allerdings, dass auch die guten linken Kreise, von Umweltministerin Simonetta Sommaruga (SP) über die Grünen und die SP bis zum ganzen Begleittross der Umweltverbände, der Klimawissenschafter und der Medien, mangels besserer Argumente seit Jahr und Tag kaum mehr von etwas anderem reden als vom Portemonnaie der kleinen Leute und den grandiosen Aussichten, die das CO2-Gesetz der Wirtschaft bietet.) Man fragt sich, inwieweit solche Gefälligkeits-Interviews wirklich zur Wahrheitfindung und Meinungsbildung beitragen oder ob sie vielleicht doch eher der Profilierung der eigenen Partei dienen (Girod: «Keine Basis steht so geschlossen hinter dem Gesetz wie die unsere.»)

Das wollen wir wissen: Was bringt das CO2-Gesetz dem Klima wirklich?

Nur über das Klima will derzeit offenbar niemand so richtig reden. So erstaunt denn auch kaum, dass im Interview mit Bastien Girod vor lauter Spekulationen, wer denn das CO2-Gesetz möglichweise verbockt habe, die zwei für den Ausgang der Abstimmung wichtigsten Fragen weder gefragt noch beantwortet werden.

Nämlich erstens: Um wie viele Millionen Tonnen CO2 sinken denn die Treibhausgasemissionen in der Schweiz in den nächsten paar Jahren tatsächlich, wenn das CO2-Gesetz angenommen wird? Respektive sinken nicht, wenn das Gesetz abgelehnt wird? Auch wenn das bloss geschätzt werden kann – in etwa müsste man doch den Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sagen können, wie viel denn ihr Ja dem Klima wirklich bringt, wie viele Millionen Tonnen CO2 Einsparung die Flugticketabgabe bringt, wie viel die Benzinpreiserhöhung, und wie viel der Trick mit der Befreiung der Unternehmen von einer CO2-Abgabe, wenn sie versprechen, das zu tun, was sie ohnehin tun müssen? Letztlich geht es bei der Abstimmung bei aller sprichwörtlichen Knickerigkeit der kleinen Leute nicht ums Portemonnaie, sondern ums Klima.

Und zweitens: Wie soll es nach Ansicht der Grünen und der SP nach der Abstimmung weitergehen? Wie wollen sie konkret in den kommenden knapp 9 Jahren mehr als 20 Millionen Tonnen CO2 zum Verschwinden bringen? Was ist ihr Plan, was ihr Fahrplan? Haben sie überhaupt einen Plan, den wir aus irgendeinem Grund nicht wissen dürfen? Oder haben sie gar keinen ausser der vagen Hoffnung, dass  man das CO2-Gesetz ja irgendwann irgendwie verschärfen könne? 

Könnte es sein, dass es all diese Unklarheiten sind, all diese Halbwahrheiten, Ausreden und dürftigen Rechtfertigungen, diese offensichtliche Diskrepanz zwischen dem, was die Politikerinnen und Politiker uns sagen und dem, was sie uns verschweigen, zwischen dem, was sie tun wollen, und dem, was sie wirklich tun – könnte es sein, dass all dies weit mehr als das Wetter oder die Scheingefechte ums Portemonnaie zum Scheitern der Abstimmung beiträgt? Weil die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nicht die Katze im Sack kaufen wollen. Weil sie das Recht beanspruchen, zu erfahren, wofür sie Ja stimmen sollen. Und weil sie zunehmend denen «da oben» einfach nicht mehr zutrauen, dass sie eine Klimapolitik hinkriegen, die tatsächlich hält, was sie verspricht. (CR)