Jetzt stürzt sich auch Eric Gujer, der Chefredaktor der NZZ, ins rhetorische Getümmel um die Klimastreikbewegung, die Windungen der Politiker und Wendungen der Parteien. Was er schon im Lead fordert, ist eine «kohärente Energiepolitik». Wer könnte ihm da widersprechen?

Bei so viel richtiger Absicht verzeiht man ihm auch einen kleinen Lapsus bereits in der Ouvertüre: Er tadelt Politiker und Medien, ihr geheucheltes Lob der jungen Klimastreikenden sei paternalistisch, es gelte, sie ernst zu nehmen – «sie haben es verdient» – und verhöhnt sie zugleich selber, es umwehe sie «die romantische Aura eines Kinderkreuzzuges für die gute Sache».

Dann aber geht es hart zu Sache: Die Forderung der Demonstranten, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 auf Null zu reduzieren, und zwar ohne technische Kompensationen: Unmöglich. Die Forderung nach Umverteilung, höheren Sozialleistungen und zusätzlichen Ausgaben für Bildung und Gesundheit, kurz nach Klimagerechtigkeit und Systemwandel: spätmarxistischer Unfug. Die Unterstützung dieser Forderungen durch Tausende von Wissenschaftern: Weltfremder Realitätsverlust. Insgesamt erinnere das alles, so Gujer, «an die Anfänge der Grünen, als die Anhänger kommunistischer Splitterparteien die Umweltbewegung für sich entdeckten, um dem Kapitalismus doch noch den Garaus zu machen».

Zu Recht stellt Gujer die Gretchenfrage: «Was passiert aber, wenn die Bürger nicht freiwillig auf SUV und Flugreisen in die Karibik verzichten?» Und er zählt auf, was einer wirksamen Klimaschutzpolitik, wie sie die Systemumkrempler fordern, alles im Weg steht: Die immer größeren und leistungsstärkeren Autos, die Sehnsucht der wachsenden Mittelschichten in China und Indien nach einer deutschen Limousine und einem Ausflug aufs Jungfraujoch. Die chinesischen und indischen Politiker, die sich weigern würden, sich dem «kategorischen Klima-Imperative» anzuschliessen. Die Europäer, die dem auch nicht «seelenruhig» zuschauen dürften. Etc. (Interessanterweise fehlen bei dieser Aufzählung der Verweigerer ausgerechnet Trump und Bolsanaro).

Viel Neues kommt bei dieser Aufzählung nicht heraus, Gujer lässt nichts aus, weder die Angst vor Arbeitsplatzverlusten noch den bedrohten Wohlstand oder die Handys und Sneakers der «schwärmerischen» Jugend. Und er fasste zusammen: «Die Wissenschafter warnen in düsteren Farben vor der nahenden Katastrophe, und die Regierungen tun so, als liessen sie sich davon beeindrucken. Sie formulieren hochgesteckte Ziele, die dann nicht oder nur unzureichend umgesetzt werden.»

Dass die Schweiz bis 2020 ihre Treibhausgase um 20 Prozent reduziert, hält er für völlig illusorisch. Und: «Nicht einmal eine Revision des CO2-Gesetzes brachte das Parlament in Bern zustande. Mit ein wenig Realitätssinn ist unschwer zu erkennen, dass ein brachiales ‹alles oder nichts› geradewegs in eine Sackgasse führt.» Dass der Entwurf des CO2-Gesetzes ein brachiales Alles oder Nichts sein soll, dürfte aber selbst gemässigte FDP-Mitglieder überraschen …

Was aber, fragt man sich, führt denn wieder aus der Sackgasse heraus? Was tun, wenn sich die «Öko-Schlafmützen nicht gewaltsam aufrütteln» lassen und man «sich eine Zwangsbeglückung nicht vorstellen» mag? Muss man dann, so Gujer, «die Maximalstrategie für gescheitert erklären?» Aber was ist denn konkret diese Maximalstrategie? Und wie sieht eine allfällige Minimalstrategie aus, um bei 1,5 Grad Erderwärmung zu landen? Oder bei 2 Grad? Oder dürfen es auch 3 Grad sein und noch ein bisschen mehr? Wie könnte die «kohärente Energiepolitik» aussehen, wie sie Gujer schon im Lead anmahnt?

Die Antwort fällt, freundlich formuliert, etwas mager aus: «Es existieren marktwirtschaftliche Instrumente, die man konsequenter nutzen muss.» Dazu zählt Gujer den EU-Handel mit Emissionsrechten. Es bleibt der einzige konkrete Vorschlag. Gern würde man allerdings wenigstens auf drei Fragen eine klare Antwort bekommen: Ist Gujer der Meinung, dass die Klimaszenarien des Welklimarats und die entsprechenden Analysen für die Schweiz zutreffen, dass die Menschheit nur noch knapp 10 Jahre Zeit hat, um eine radikale Energiewende einzuleiten und bis 2050 bei annähernd Netto Null zu landen? Wie lange kann man seiner Meinung nach noch zu- und abwarten, wenn die Treibhausgasemissionen immer weiter steigen oder wenigstens nicht nennenswert sinken? Und schliesslich: Welche Massnahmen dürfen, können oder müssen wann ergriffen werden, wenn das mit der Eigenverantwortung und den wundersamen, alles von alleine regulierenden Marktmechanismen doch nicht so richtig hinhaut?

Wir warten gespannt auf Gujers nächsten Leitartikel, in dem er uns auf diese Fragen eine kohärente Antwort gibt. (CR)