Die NZZ singt wieder einmal das alte Lied: «Viele Jugendliche gehen seit Wochen auf die Strasse, um für mehr Massnahmen gegen den Klimawandel zu demonstrieren. Doch wenn es um das eigene Flugverhalten geht, ist die Bequemlichkeit für viele schnell wichtiger.» Ähnliches dröhnt einem in allen Tonlagen – anklagend, ironisch bis hasserfüllt und geifernd – in Hunderten von Leserbriefen, aus Internetforen und natürlich den versammelten SVP- und FDP-Stammtischen entgegen.

In ihrer neuesten, als Analyse getarnten Anklage gegen die jugendliche Klimastreik-Bewegung haben sich NZZ-Jung-Redaktor Gian Andrea Marti und der junge NZZ-Storytelling-Journalist Haluka Maier-Borst die Maturanden vorgeknöpft. An einigen Beispielen, etwa 25 Basler Gymnasiumsklassen, den Maturaklassen der Kantonsschule in Chur oder den Abschlussklassen der Evangelischen Mittelschule Schiers wollen die beiden Autoren aufzeigen, dass es mit dem Umweltbewusstsein der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten doch nicht so weit her ist: Sie alle reisen auf ihrer Maturreise mit dem Flugzeug nach Portugal, Spanien, Griechenland oder anderswohin.

Die journalistische Trickkiste

Dass an anderen Schweizer Gymnasien nicht nur heftig diskutiert wird, sondern die Schüler in der Folge auch aufs Fliegen verzichten, bestreiten die beiden Autoren zwar nicht. Bloss: Weil diese paar Beispiele weder das Eine noch das Andere beweisen, sondern einfach zeigen, dass die Klimastreik-Bewegung es innert weniger Monate fertiggebracht hat, dass langjährige Gewohnheiten plötzlich hinterfragt werden, greifen die beiden Journalisten zu einem nicht ganz seriösen Trick: Sie belegen ihre These mit Zahlen, die weder etwas mit den Gymnasiasten, den Schulen noch mit den Maturreisen zu tun haben, ja nicht einmal mit dem Reiseverhalten der Jugendlichen generell. Sondern: Die Zahlen stammen vom Flughafen Zürich und belegen nichts anderes, als dass die Passagierzahlen von Gründonnerstag bis Ostermontag im Vergleich zum letzten Jahr massiv zugenommen haben. Wer da fliegt, ob Jung oder Alt, Schüler oder Sekretärin, Single oder Familie, ist den Jungjournalisten offenbar völlig egal, Hauptsache, die Zahlen tun irgendwie so, als ob sie die These der beiden belegen würden. Ob ein so manipulativer Text als Seminararbeit an einer Journalistenschule durchgehen würde, darf man bezweifeln.

«Wir brauchen bessere Regeln, nicht bessere Menschen»

Immerhin hat der NZZ-Artikel einen wohl nicht beabsichtigten Nebeneffekt: Er zeigt, dass die hämischen bis giftigen Kritiker der Klimastreik-Bewegung noch nicht einmal richtig begriffen haben, worum es den Klimastreikenden eigentlich geht. Nämlich in erster Linie um Politik und nicht um das individuelle Verhalten Einzelner. Oder wie Robert Habeck, der Vorsitzende der deutschen Grünen, in einem Interview (übrigens auch in der NZZ) sagt: «Ich meine, dass wir Politik nicht privatisieren dürfen, weil man sie sonst aus der Verantwortung entlässt. Im Kern brauchen wir bessere Regeln und nicht bessere Menschen.» Und: » Wenn wir in der Klimapolitik etwas erreichen wollen, müssen wir das grosse Rad drehen. Also: alle Autos mit Verbrennungsmotor loswerden, in der Landwirtschaft weniger Tiere halten, die dafür ein besseres Leben haben. Wir müssen zu einer Kreislaufwirtschaft kommen. Die Probleme sind immens, da hilft es nur, die Regeln zu verändern. (…) Wenn Sie die Emissionen im Verkehr senken wollen, können Sie dafür werben, dass die Menschen ihr Verhalten ändern – und wenn sie es nicht tun? Sie könnten auch den Sprit massiv besteuern, aber so schaffen Sie eine Zweiklassengesellschaft, in der nur die Reichen munter weiter Auto fahren. Die Politik kann aber auch sagen: Ab 2030 gibt es keine Neuwagen mit Verbrennungsmotoren mehr. Dann gelten für alle die gleichen Regeln.» (CR)