Dass der Tages-Anzeiger und die Sonntagszeitung sich fast im Wochenrhythmus rührend um die Friday for Future- Aktivistinnen und -Aktivisten kümmern, haben wir schon mehrmals festgestellt. Am vergangenen Sonntag war es wieder einmal soweit.
Unter dem etwa verwirrenden Titel «Gretas Grenzen» und verziert mit einer Zeichnung von Kornel Stadler, der Greta Thunberg als sauertöpfischen Trotzkopf zeigt, kommentiert Redaktionsleiter Andreas Kunz das Treffen der Klimaaktivisten in Lausanne in der vorigen Woche. Ein teilweises Fiasko sei es gewesen; «mit Chaos, Streit und Tränen statt mit wegweisenden neuen Ideen» habe das Treffen weltweit Schlagzeilen gemacht, schreibt Kunz, wobei er als einzigen Beleg für die weltweiten Schlagzeilen nur gerade das Weltblatt «Blick» anführt: «Wie der «Blick» berichtete, soll es zu Sitzstreiks, Heulkrämpfen und basisdemokratischen Endlosdebatten ohne Struktur oder Konsens gekommen sein.» Beim «Blick» abschreiben, das nennt man sorgfältige Recherche …
Fast hätte man meinen können, dass das Tamedia-Blatt trotzdem ausnahmsweise einmal nicht mit dem üblichen paternalistischen Gestus den kleinen dummen Jungs und Mädels, die von Politik keine Ahnung haben, Ratschläge erteilen wollte, wie in den vielen Texten über die Klimaaktivisten zuvor. Kunz tadelte die Häme und den Zynismus der anderen Medien – «ganz so, als hätte man von 16-Jährigen erwarten können, dass sie wie abgebrühte Diplomaten mit jahrzehntelangen Routinen jene komplexen Probleme dieser Erde lösen, an denen dieselben an zig Konferenzen zuvor bereits ähnlich desaströs gescheitert waren.»
Mit erhobenem Zeigefinger
Aber damit hatte es sich dann auch mit den Sympathiebezeugungen. «Mit Moral allein», so der väterliche Redaktionsleiter, «lässt sich die Welt nicht retten.» Die Menschen würden sich in ihrem naturgegebenen(!) Egoismus schlicht nicht mit erhobenem Zeigefinger vorschreiben lassen, wie sie zu leben hätten. Dass Kunz selber auch kein anderes Argument hat als den erhobenen Zeigefinger, liegt möglicherweise an der naturgegebenen Orientierung des Redaktionsleiters am gängigen Niveau der helvetischen Stammtische.
«Noch mehr Alarmismus ist keine Option», weiss Andreas Kunz, und er tadelt im Vorbeigehen «einzelne Politiker, Wissenschaftlerinnen und Medien, die sich zu teils fragwürdigen bis falschen Aussagen hinreissen» liessen. Wie üblich bei solchen pauschalen Verdächtigungen, nannte er (mit einer kleinen lächerlichen Ausnahme des Schweizer Fernsehens) natürlich keine Namen. Meinte er damit etwa Wissenschafterinnen und Wissenschafter wie Sonia Seneviratne, Reto Knutti oder Thomas Stocker, führende Schweizer Klimaforscher, die immer dringender warnen, es sei schon fast fünf nach zwölf, wenn man das Pariser Klimaziel noch erreichen wolle? Oder meinte er gar den kompetenten hauseigenen Umweltredaktor Martin Läubli, der angesichts des neuesten IPCC-Sonderberichts gestand, dass er mittlerweile auch ratlos sei, wie man die fortschreitende Umweltzerstörung noch verhindert könne?
Subtile Diffamierungen
Dann aber lässt Kunz doch noch die Katze aus dem Sack.: «Ein Überschuss an Moral in einer Debatte sorgt zu allererst für eine weitere Radikalisierung. (…) Wonach man sich tatsächlich Sorgen machen muss, ob sich nicht noch mehr Jugendliche in verzweifelte Apokalyptiker mit teils regelrechten Traumata, Depressionen und Angstzuständen verwandeln, die vermehrt auch zu Gewaltfantasien neigen wie bei der zusehends beliebteren Weltuntergangssekte Extinction Rebellion.» Woher Kunz die Erkenntnis hat, dass die «Weltuntergangssekte» Extinction Rebellion (XR) zu Gewaltfantasien neige, bleibt sein Geheimnis. Oder ist genauer gesagt eine pure Verleumdung eines Teil der Bewegung. Denn die Klimaaktivisten von XR lassen in all ihren Statements keinen Zweifel, dass ihr Mittel gewaltfreie Aktionen des zivilen Ungehorsams sind. Und bisher gibt es auch keine Indizien, dass sie sich nicht daran halten.
Darüber hinaus aber steckt im Kommentar von Andreas Kunz eine subtile Diffamierung der gesamten Friday for Future-Bewegung : «Wer ständig moralisiert, handelt verantwortungslos», schreibt Kunz, und: «Die Rettung der Welt ist keine Frage des Gewissens, sondern der Machbarkeit. Was es dazu braucht, sind Technologie, Fortschritt und Entwicklung – und nicht zuletzt: einen klaren Kopf.»
Damit insinuiert Kunz nicht bloss, die – notabene verantwortungslose – Bewegung habe nichts anderes auf der Platte als ein paar hohle moralischen Sprüche – ein einziger Klick auf die Webseite von «Klimastreik Schweiz» beweist das Gegenteil -, er diskreditiert auch das, was die jugendlichen Klimastreiker nicht nur von den Klimaleugnern -und Skeptikern unterscheidet, sondern auch von den Technokraten und selbsternannten «Pragmatikern», den Gössis, Nosers und Kunz›: Nämlich dass die Klimawende auch und vor allem eine Sache des Gewissens ist. Denn was zu tun wäre, wissen wir längst; zu Recht verweisen die Friday for Future-Aktivisten auf die Wissenschaften und fordern, dass die Politik nach dreissig, vierzig Jahren Verhandeln, Wegschauen und Verharmlosen endlich den Erkenntnissen der Wissenschafter folgt. Es ist weder Aufgabe noch Ziel der Bewegung, «wegweisend neue Ideen» zu kreieren, wie Kunz verlangt, sondern Politik und Medien ins Gewissen zu reden, nicht mehr immer bloss dem «naturgegebenen Egoismus» zu folgen, sondern endlich zu handeln. Und erst recht braucht die «Friday for Future»-Bewegung keine Belehrungen, wie sie sich zu verhalten habe. Sie ist so erfolgreich wie kaum eine andere Protestbewegung zuvor und hat bisher auch kaum einen Fehler gemacht. (CR)