Aktive jugendliche Klimaschützer gab es schon lange vor Greta Thunberg.

Was ist bloss mit dem Tages-Anzeiger los? NZZ, die Tamedia-Blätter und beide Sonntagszeitungen liefern sich derzeit einen Wettkampf, wer die Klimajugend gemeiner in der Pfanne hauen kann.

Ging es bisher um die «weltfremden», «idealistischen» oder sonstwie «unrealistischen» Forderungen der Klimastreik-Bewegung oder – vor allem in der NZZ – um die frei erfundene drohende Radikalisierung der Klimastreiker, so wird jetzt neuerdings auf Personen geschossen. Im neuesten Tages-Anzeiger-Kommentar von Karin Janker, Redaktorin der Süddeutschen Zeitung, geht es nicht um die Inhalte der Klimadebatte, sondern um die Person, welche die Diskussion vor Dreivierteljahren angezettelt hat, die 16jährige Schülerin Greta Thunberg. Wer Jankers Kommentar liest, könnte zuweilen fast meinen, eigentlich sei Greta Thunberg an der ganzen Klimakrise schuld und nicht die Atmosphären-Verschmutzer. Die infamste Diffamierung der deutschen Redaktorin und Literaturwissenschaftlerin aber kommt gleich am Anfang des Kommentars: Thunbergs Erfolg stimme wenig hoffnungsvoll, in manchem sei sie nämlich Trump erstaunlich ähnlich.

Dass man bei einer so abenteuerlichen Argumentation, die immer zwischen Ernsthaftigkeit und Spott changiert, einige Umwege machen muss, um an diesen Punkt zu gelangen, versteht sich; die Literaturwissenschafterin erzählt zur Einstimmung zuerst einmal das Andersen-Märchen vom «nackten Kaiser». Die 16-Jährige habe, so scheine es, als Einzige den Mut, den Menschen zu sagen, dass ihre Generation dem Raubbau am Planeten nicht länger zusehen werde, nicht länger zusehen könne. «Nackt sei vor ihrem Blick jeder Einzelne, der sein Leben ohne Rücksicht auf das Klima lebe. Greta sehe Dinge, die andere nicht sehen wollten. (…) Greta, die Seherin.»

Das ist, Pardon, purer Unsinn: Seit Jahrzehnten sagen und schreiben Tausende von Wissenschafterinnen und Wissenschafter, wie bedrohlich die Klimakrise ist. Und seit vielen Jahren wehren sich Tausende von jungen Menschen und prangern die Politik an, die es nicht fertigbringt, wirkungsvolle Massnahmen zu ergreifen. Berühmt ist das T-Shirt, das die junge Klimaaktivistin Christina Ora von den Salomonen Inseln vor zehn (!) Jahren anlässlich des Klimaweltgipfels von Kopenhagen trug.

Alles auf der Welt ist PR

In der zweiten Etappe, vor dem steilen Aufstieg zum Vergleich mit Trump, diffamiert Janker die jugendliche Klimaschutzbewegung als purer grosser PR-Event. Wenn man das so verdreht sehen will, wären allerdings die Demonstrationen in Hongkong, in Istanbul, in Venezuela, ja alle Streiks und Demonstrationen grundsätzlich nichts andere als grosse PR-Ereignisse. Eine doch höchst eigenwillige Interpretation dessen, was derzeit auf der Welt geschieht. Zumal dann, wenn man zugleich verschweigt, was die Erdölfirmen, die deutsche Automobilindustrie , die konservativen und reaktionären Think-Tanks seit Jahren an Millionen- und Milliardenbeträgen in wirkliche PR-Aktionen pumpen, um die jugendlichen Klimaaktivistinnen und -aktivisten kaltzustellen, die alle ihre Aktionen und Workshops aus der eigenen kleinen Tasche bezahlen.

Es gehört zu den Perfidien dieser Sorte von Journalismus, dass Janker in ihrem Kommentar wie beiläufig immer wieder kleine Boshaftigkeiten einstreut, etwa – als Zitat oder Frage versteckt – dass eine 16-Jährige doch gar nicht wissen könne, was man ohne einschlägiges Studium auch als Erwachsener kaum durchdringe. Oder dass es nur noch eine kleine Weile dauern werde, bis man die Ikone Thunberg als Heuchlerin entlarve, etwa wenn man sie mit einem Plastikstrohhalm zwischen den Lippen erwische. So unter der Gürtellinie wird allenfalls an den SVP-Stammtischen debattiert.

Janker weiss es natürlich viel besser als die Klimawissenschafter: «Man wird diese (Forderungen) nie alle umsetzen können. Viele sind radikal und weder sozial verträglich noch fristgerecht zu realisieren.» Ob die Literaturwissenschafterin und Märchenerzählerin das auch so forsch und apodiktisch behaupten würde, wenn ihr Angriffsziel nicht die 16jährige Greta Thunberg wäre, sondern sie gestandenen renommierten Klimaforschern des Weltklimarates gegenübersitzen würde? (Im übrigen – zur Erinnerung: Greta Thunberg und die Kids der Friday for Future-Bewegung fordern nichts anderes als das, was Tausende von Klimawisschaftern mit aller Dringlichkeit schon lange fordern.)

Der grössenwahnsinnige Lügenbaron und die konsequente Klimaaktivistin

Ach ja und jetzt das Finale: Greta Thunberg und Donald Trump. Wie geht diese Diffamierung? «Einmal mehr zeigt sich, wie sehr das Ansehen der Eliten, seriöser Politiker oder gemässigter Wissenschaftern (wen zählt sie zu den gemässigten, wen zu den ungemässigten?), bereits geschwunden ist. Jemand, der neu, medienwirksam und unkonventionell daherkommt – da sind sich Thunberg und Trump plötzlich erstaunlich ähnlich -, entfacht mehr politisches Engagement als diejenigen, deren Beruf das Aushandeln politischer Kompromisse ist. (…) Die Begeisterung für Greta Thunberg erweist sich als Kehrseite des Populismus à la Trump: Beides wurzelt im Misstrauen gegenüber etablierten Eliten. Allzu hoffnungsvoll braucht einen das Mädchen aus Schweden also nicht zu stimmen. Mit radikalen Forderungen allein kann man die Blösse des Kaisers nicht geht bedecken.»

Bei einem Argumentierwettbewerb in einer Mittelschule würde Janker mit dieser Argumentation allerdings keinen Besenstiel gewinnen. Thunberg ist eben nicht deshalb erfolgreich, weil ihr Auftritt neu, medienwirksam und unkonventionell war, sondern weil ihre Botschaft aktuell und brisant ist. Und weil sie der Jugend aufzeigte, dass es um eine lebenswichtige Frage geht. Dass man sich wehren kann und muss. Und dass man es todernst meint, weil es todernst ist. Es geht also nicht um ein dumpfes Misstrauen Verschwörungstheorien und subjektive Wahnvorstellungen wie bei Trump, sondern um reale Fakten: Was die internationale Klimapolitik bisher erreicht hat, genügt nicht im Geringsten, um die Klimaziele zu erreichen.

Kleine feine Unterschiede zwischen Trump und Thunberg

Wenn der mächtigste Mann der Welt seit seinem Amtsantritt weit über 10’000 Lügen verbreitet hat, ist das etwas anderes, als wenn eine 16jährige Schülerin und mit ihr Hunderttausende von zu Recht besorgten Jugendlichen fordern, dass die Politik nach Jahrzehnten Reden und Konferenzen endlich jene Massnahmen ergreift, welche die Wissenschaft seit dreissig Jahren fordert und die Politik seit dreissig verspricht und vertrödelt. Trumps Hass auf Politik, Wissenschaft und Medien gründet im geistesgestörten Eskapismus eines Möchte-Gern-Diktators. Thunberg und die kritischen jungen Leuten fordern dagegen bloss, was notwendig ist, damit sie in dreissig, vierzig Jahren in einer lebenswerten Welt leben können.

Mit Märchenerzählungen und dem verbalen Anschlag auf Greta Thunberg als Person ist dem Klima vermutlich wenig geholfen, zumal die Friday for Future-Bewegung inzwischen längst viel zu gross, zu mächtig und selbständig geworden ist, um auf Greta Thunberg angewiesen zu sein. Karin Janker würde gut daran tun, ihre Kleider wieder anzuziehen und die Klimaproblematik Leuten zu überlassen, die davon etwas mehr verstehen. Und wann kamen eigentlich in der sogenannten Forumszeitung Tages-Anzeiger die Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten und ihre Befürworter so ausführlich zu Wort wie ihre Gegner? (CR)