Jetzt macht auch die Klimastreikbewegung mit beim grossen Schneckenrennen.

 «Taktisch klug!» findet die Grünen-Präsidentin Regula Rytz den jüngsten Entscheid der Klimastreikbewegung, ein Referendum gegen das neue CO₂-Gesetz zum Vornherein auszuschliessen. Und Jonas Kampus, einer der Sprecher von «climatestrike», meint laut den Tamedia-Blättern: «Wir halten es aus strategischer Sicht nicht für sinnvoll, jetzt mit einem Referendum zu drohen.» Aber egal ob taktisch oder strategisch unklug – mit diesem Entschied nimmt sich die Klimabewegung selbst aus dem Rennen.

Alle, die bloss ein harmloses CO2-Gesetz wollen, haben es jetzt schwarz auf weiss: Von der Klimajugend droht in absehbarer Zukunft keine Gefahr mehr. Wie Regula Rytz ist auch Roger Nordmann, der SP-Fraktionschef, «erleichtert», dass die Klimajugend den einzigen Trumpf, den sie hat, den Druck der Strasse, freiwillig aus der Hand gegeben hat. Sie würde sonst, meint Nordmann im Tages-Anzeiger, «bloss für die SVP die Kastanien aus dem Feuer holen.» Abgesehen davon, dass niemand genau weiss, welche Kastanien aus welchem Feuer geholt würden, ist das ein ziemlich schlichtes Argument, denn: Wenn eine Partei oder eine Bewegung bloss deshalb auf eine politische Aktivität verzichten soll, weil ausnahmsweise Albert Röstis SVP zwar aus völlig anderen Gründen, aber letztlich doch zum gleichen Entscheid kommt, dann kann diese Partei oder Bewegung gleich den Hut nehmen.

Alle sind sich einig: Das CO2-Gesetz taugt nicht viel

Um was geht es genau? Im vorliegenden Entwurf des CO2-Gesetzes wird die schweizerische Klimapolitik bis 2030 festgeschrieben. Die Wissenschaft, der Bundesrat, die Grünen und die SP, alle Umweltverbände und die Klimajugend sind sich einig, dass sich mit dem vorliegenden Entwurf die Klimaziele des Pariser Abkommens, das die Schweiz unterschrieben hat, nicht erreichen lassen. Denn zahlreiche Bestimmungen sind viel zu schwach, um eine wirksame Reduktion der Treibhausgase zu bewirken, so etwa eine bloss symbolische Flugticketabgabe – Frachtflugzeuge werden übrigens gar nicht besteuert -, eine zahme Besteuerung der Treibstoffe Benzin und Diesel, eine CO2-Abgabe für Unternehmen mit allen möglichen Schlupflöchern, ein CO2-Grenzwert für Autos mit allen möglichen Ausnahmeregelungen, eine unsinnige Auslandkompensation, welche die CO2-Reduktion im Inland nicht nur nicht ersetzt, sondern letztlich nur hinausschiebt und zuletzt viel teurer zu stehen kommt. Die wichtigen, von mehreren grossen Umweltverbänden und der Klimajugend heftig geforderten Regulierungen des Finanzplatzes sucht man im Gesetz vergeblich, auch zur Landwirtschaft steht nichts im Gesetz. Wieso Grünen- und SP-Politikerinnen und -Politiker trotzdem von einem «guten Kompromiss» (Nordmann) reden, ist etwa so einleuchtend, wie wenn der FCZ nach einer Kanterniederlage gegen Servette von einem guten Kompromiss reden würde. Tatsache ist: Diejenigen, die im Einklang mit den Erkenntnissen der Wissenschaft eine massiv schnellere Gangart fordern, wie etwa die Klimaallianz, ein Zusammenschluss aller wichtigen Umweltverbände, oder die Klimastreikbewegung, die einen Klimanotstand und Netto Null bis 2030 fordert, haben mit diesem CO2-Gesetz auf der ganzen Linie verloren.

Die Klimastreikbewegung ist der mächtigste Player in der Klimadebatte

Im vergangenen Jahr hat die Klimabewegung weltweit mit riesigen Demonstrationen Druck gemacht; ohne sie wäre die Klimadebatte weiter so lautlos vor sich hingebröselt wie all die drei Jahrzehnte zuvor. Seit die Jugendlichen weltweit zu Hunderttausenden auf der Strasse den Klimanotstand ausgerufen haben, ziehen sich alle Politiker ausser den finstersten Reaktionären ein grünes Mäntelchen an und balgen sich darum, mit Greta Thunberg auf einem Sofa sitzen zu dürfen. Und selbst jene grünen und SP-Funktionäre, die Bundesrätin oder Bundesrat werden wollen und statt Deutsch nur noch Staatsmännisch sprachen, wagten vor den Wahlen wieder einmal eine flotte Lippe: Nach den Wahlen werde man den Bürgerlichen Beine machen, meinte Regula Rytz. Nach den Wahlen redete man dann wieder staatsmännisch gedämpft und aus dem geforderten Grossen Runden Tisch, wo man den Klimabremsern harte Zugeständnisse abringen wollte – die guten Argumente sind ja vorhanden -, ist auch nichts geworden. Man übt sich in taktischer Bescheidenheit und plaudert strategisch vom Spatz in der Hand, anstatt aktiv Politik zu machen und für das zu kämpfen, was man den Wählerinnen und Wählern versprochen hat.

Allein die Klima-Allianz und eben die Klimastreikbewegung, die mächtigste Kraft im Kampf um eine wirksame Klimapolitik, forderten unverdrossen, dass man jetzt Schluss mache mit den rhetorischen Übungen, den Fensterreden und Lippenbekenntnissen. Und wenn es eine Kraft gab, die tatsächlich in der Lage wäre, das CO2-Gesetz – egal ob mit oder ohne SVP – bachab zu schicken, wenn es nicht jetzt von Grund auf verschärft werde, dann waren das die jungen Klimaaktivistinnen und -aktivisten mit ihrer unmissverständlichen Ansage, sich durch nichts und niemanden um den Finger wickeln zu lassen und sich den parlamentarischen Glasperlenspielen und Hinterzimmerabsprachen zu verweigern. Sondern unnachgiebig und ohne Abstriche zu fordern, was die Wissenschafter für notwendig erachten, nämlich dass die Schweiz in den kommenden wenigen paar Jahren rigoros die Wende schaffen muss.

«Das CO₂-Gesetz genügt nicht, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen», sagte Jonas Kampus auch bei der Vorstellung des Klimaaktionsplans am Montag immer noch. Bis zur Schlussabstimmung, zitiert der Tages-Anzeiger Kampus, müsse das Gesetz noch «klar ambitionierter» werden.  Climatestrike erwarte vom Parlament, dass die vorgeschlagenen Massnahmen in den Sommersessionen diskutiert und umgesetzt» werden.» Was aber, wenn das Parlament climatestrike diesen Gefallen nicht tut?

Faktisch ist jetzt der Klimanotstand vom Tisch

Denn diese Forderung von climatestrike steht in totalem Gegensatz zu dem, was die FDP, CVP/BDP und GLP in Absprache mit den Grünen und der SP vorhaben: Diese Allianz will das vorliegende untaugliche Gesetz mit einigen Mini-Retuschen durchwinken. Das Gesetz sei, so Regula Rytz, ein «Zwischenschritt, der jedoch besser sei als die totale Blockade, die bei einem Referendum drohe. (Dass es zu einer «totalen Blockade» käme, falls die Vorlage im Nationalrat scheitern würde, ist vorderhand bloss eine Behauptung – und letztlich eine Drohgebärde gegenüber allen, die sich dem Diktat der Parteihierarchen nicht fügen wollen. Dabei hinge es mitunter von der klaren Ansage und vom Verhalten der Grünen und der SP ab, ob es nicht sogar ein zeitsparender Befreiungsschlag sein könnte in einer durch und durch verfahrenen Situation.) Ähnlich tönt auch GLP-Präsident Jürg Grossen: Leider seien in der Schweiz realpolitisch keine grösseren Schritte auf einmal möglich. Das gelte es zu akzeptieren.

Dass Politik durchaus mehr sein könnte, als einfach der Meinung des sogenannten «Volkes» hinterherzuwatscheln, scheint man in den Parteizentralen etwas verlernt zu haben. Ist es aber so abwegig zu erwarten, dass Politikerinnen und Politiker, falls sie glaubwürdiger wären, auch meinungsbildend sein könnten, dass sie für ihre Meinung, falls sie eine haben, auch überzeugend einstehen, kämpfen und streiten, dass sie engagiert und gegen Widerstände Überzeugungsarbeit leisten, dass sie einlösen, was sie in ihren Wahlreden und am 1. August versprochen haben und nicht ihre Meinung opportunistisch nach dem Wind hängen – ist das alles zu viel verlangt?

Aber natürlich, es waren ja kaum je Parteien, sondern fast immer Bewegungen, die wichtige gesellschaftliche Umwälzungen anstiessen, von den Bürgerrechts- und Apartheidsbewegungen der 1960er Jahre, dem Prager Frühling über die Anti-AKW-Bewegung, den Montags-Demonstranten in der DDR über die Lesben- und Schwulenbewegung bis zum Arabischen Frühling, selbst im kleinen Zürich vom Globus- bis zum Opernhaus-Krawall, denen wir die Belebung des Zürcher Kulturlebens zu verdanken haben. Warum also sollte die Klimastreikbewegung warten, bis die Parteistrategen zur Überzeugung gelangen, das Volkes sei jetzt reif für eine ernsthafte Klimapolitik? Zu recht nahmen die Klimaaktivisten im vergangenen Jahr die Sache selber an die Hand und bewiesen mit ihrem ausserparlamentarischen Druck auf der Strasse, das sich viel mehr bewegen lässt, als die mutlosen Parteifunktionäre sich offenbar selber zutrauen.

Climatestrike hisst die weisse Fahne

Aber: Indem sie jetzt ohne Not und ohne jeden einleuchtenden Grund schon vor der Debatte die weisse Fahne hissen und den Parlamentarierinnen und Parlamentariern versichern, ganz schön lieb zu sein und so oder so alles mitzutragen, was die Parteien unter sich aushandeln werden, verzichten die Klimajugendlichen zum Vornherein auf die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen auf die Debatte im Nationalrat. Faktisch ist jetzt der Klimanotstand vom Tisch: Es pressiert anscheinend nicht mehr, man nimmt und lässt sich Zeit. Diejenigen, die immer schon dafür waren, die Sache nur mit kleinsten Trippelschrittchen anzugehen, werden das dankbar aufgreifen und den Klimajugendlichen unter die Nase reiben, wenn diese wieder einmal aufs Tempo drücken wollen.

Man braucht kein Hellseher zu sein, um zu ahnen, dass das Parlament den lieben, braven Demonstranten als winziges Trostpflästerchen irgendwo im Gesetz mit einen Halbsatz entgegenkommen und ansonsten ihr Ding durchziehen wird. Die ganze Sache hat allerdings vermutlich einen sehr unerfreulichen Haken: Wenn auch die Klimastreiker jetzt beginnen, den grossen Worten nur kleinste Forderungen folgen zu lassen, verlieren sie ein rechtes Stück ihrer Glaubwürdigkeit. (Und Glaubwürdigkeit war neben der Power bisher ihr grösstes Kapital.) Zudem spalten sie vermutlich ihre eigene Bewegung. Und schwächen sich damit selber. (CR)