Noch immer sind die Medien eifrig auf der Suche nach den Schuldigen, die sie für das Debakel bei der Abstimmung um das CO2-Gesetz verantwortlich machen können. Dass sie selber es nicht geschafft haben, die Stimmbürgerinnen und -bürger mit ihren Argumenten zu überzeugen, wollen sie nicht eingestehen. Jetzt haben sie die ultimativen Schuldigen gefunden: Es sind die von der radikalen Linken unterwanderten Klimajugendlichen.

Endlich wissen wir es, Markus Häfliger, dem Tamedia-Bundeshausredaktor sei Dank. Es war nicht das Wetter, wie sein Kollege Stefan Häne vor der Abstimmung spekulierte, und es waren auch nicht die mageren Argumente der Befürworter, – es waren die Jugendlichen von «Friday for Future» und «Klimastreik Schweiz», die schuld sind am Desaster um das CO2-Gesetz. Sie haben zwar in ihrer grossen Mehrheit das Gesetz nicht abgelehnt, aber sich geweigert, begeisterte Befürworter zu sein. Sie haben den Auftrag, den die Parteistrategen ihnen zugedacht haben, nämlich die ländliche Bevölkerung, die sogenannte Land-Schweiz, «abzuholen», für das Gesetz zu gewinnen, nicht erfüllen wollen.

Was wäre nicht alles möglich gewesen. Die Lancierung etwa einer neuen Turnübung «Ufe mit de Klimaziel – abe mit em CO2» für die Appenzeller Sportvereine. Ein «Bankenb’setzerli-Spiel» für die noch unentschlossenen FDP-Sektionen der Innerschweiz – gesponsert von der UBS und CS, die ja irgendwie auch für ein Klimaziel sind, ein Fasnachtsumzug für Altersheimbewohner in Luzern unter dem Motto «Jetzt hauen auch wir mal auf den Putz»  Der Fantasie wären keine Grenzen gesetzt gewesen, die Wirtschaftsverbände hätten vielleicht sogar Pilgerreisen nach Mormont unterstützt, dem neuen Rütli der Klimabewegung. Und so weiter.

Und was machten die Radau-Brüder und Krawall-Schwestern der Klimastreikbewegung? Sie streikten. Sie legten sich laut Häfliger zu Christian Imark und Marco Chiesa von der SVP und den Ölbaronen ins Bett und rührten, wo sie nicht offen für ein Nein plädierten, so doch zumindest nicht den kleinsten Finger. 

Von den Marxisten unterwandert und «aufgesogen»

Natürlich, so Häfliger, ist es «das Privileg der Jugend, von einer besseren Welt zu träumen. Doch das Problem des Klimastreiks ist», so Häfliger weiter, «dass er sich von der extremen Linken aufsaugen lässt», der es mehr um Klassenkampf als um Klimaschutz gehe. Das sieht übrigens auch die NZZ so; sie sieht die Klimabewegung unterwandert von «kommunistischen und marxistischen Splittergruppen». Wobei die NZZ immerhin einräumt, dass «das Zögern der FDP-Basis sicherlich entscheidender war.

Dass ausgerechnet Roger Nordmann, jener SP-Klimapolitiker, der wesentlich mitverantwortlich ist, dass die SP sich von der FDP über den Tisch ziehen liess, ins gleiche Horn stösst wie Häfliger und die NZZ, kann nur jene überraschen, welche die Sozialdemokraten bisher als Klimapartei missverstanden haben. «Das ist das Problem mit Fanatikern», meint er, «sie leben in einer Blase und können die andere Seite nicht wahrnehmen». Man darf vermuten, dass die Klimajugend, ob marxistisch unterwandert oder nicht, der SP in ihrer Bundeshaus-Blase in Zukunft noch weniger Begeisterung entgegenbringen wird. Und das in einem Moment, wo mit Mattea Meyer und Cédric Wermuth zwei Politiker die Führung der Partei übernommen haben, die ihr ein deutliches linkeres – huch, ein schon fast marxistisch angehauchtes – Profil zu geben versuchen.  Die SP hätte Besseres verdient als Opportunisten wie Nordmann.

Eine andere Geschichte

Man könnte diese Geschichte allerdings auch aus einer ganz anderen, weniger diffamierenden, mehr faktenbasierten Sicht erzählen.  Etwa so: Es waren die Jugendlichen von «Fridays for Future» und «Klimastreik Schweiz», die im Sommer 2018 die Klimakrise in die Öffentlichkeit katapultierten. Und das, obwohl schon damals die grossen Medien sie als «Weltuntergangssekte» (Andreas Kunz, stellvertretender Chefredaktor der SonntagsZeitung), der NZZ-Chefredaktor Erich Gujer sie als «unzurechnungsfähige Teenager» und ihre Demonstrationen als «Kinderkreuzzug» diffamierten. Ihr Engagement, ihre Leidenschaft und Begeisterung haben mitunter dafür gesorgt, dass die National- und Ständeratswahlen zur «Klimawahl» wurden; ihnen haben die Grünen und die GLP zu verdanken, dass sie bei den Wahlen einen kräftigen Rutsch nach vorne gemacht haben.

Die Klimajugendlichen haben aber auch schon früh, schon frühzeitig signalisiert, dass sie das Parteiengemauschel nicht mitmachen werden, als die SP und die Grünen, die den mickrigen Entwurf des CO2-Gesetzes im Dezember 2018 noch klar ablehnten, plötzlich den fast ebenso mickrigen FDP-Kompromiss unterstützten.  Eine Sprecherin der Klimajugend sagte damals: «Wir wurden von rechts beschimpft und belächelt, von den linken Parteien benutzt und belogen. Man hat uns das Blaue vom Himmel versprochen und nichts davon geliefert. (…) Wir wurden im Stich gelassen.»

Trotzdem verhielt sich die Klimajugend weitgehend still, selbst als der Grünen-Chef Balthasar Glättli anlässlich einer Klima-Demo auf dem Bundeshausplatz in paternalistischem Tonfall sinngemäss meinte «Ach ja, die Jugend! Wir waren doch auch mal jung und rebellisch!», aber auch deutlich machte: «So, aber jetzt lasst uns Profis ran, wir werden es schon richten». Und sie, die den Grünen immerhin zum Wahlsieg verholfen haben, hielten auch dann noch still, als Glättli sie später als «irrationale Naivlinge» zusammenstauchte.

Schon während der Debatte und erst recht, als das Parlament das Gesetz mit den Stimmen der SP, der Grünen und der GLP verabschiedete, machten die Klimajugendlichen aber unmissverständlich klar, dass sie dieses Gesetz nicht bloss für ungenügend, sondern für ganz und gar untauglich hielten. Trotzdem beschlossen sie mit Ausnahme einiger Westschweizer Sektionen, das Referendum der SVP nicht zu unterstützen. Bloss: Dann auch noch zu erwarten, dass sie den Abstimmungskampf gegen ihre klare Überzeugung mit Begeisterung befeuern, weil es den «Profis» und den Medien nicht gelang, die Stimmbürgerinnen und -bürger mit ihren dürftigen Argumenten zu überzeugen, – das ist dann schon ein starkes Stück. Und kann nur Politikern und Medienleuten in den Sinn kommen, die es gewohnt sind, ihr Fähnchen nach dem Wind zu hängen, ihre Meinung über Nacht zu ändern, wenn es ihnen grad opportun erscheint, dies als gutschweizerischen Kompromiss zu verkaufen und mit dem Finger auf diejenigen zu zeigen, die nicht gewillt waren, diese Spielchen mitzuspielen.  Weil es ihnen nicht um die nächsten Wahlen und auch nicht um ein paar Dutzend Millionen Profite geht, sondern um ihre Zukunft. (CR)